Die sehr gut besuchte Veranstaltung wurde von Frau Dr. Helga Löber, der Präsidentin der Internationalen Charles-Sealsfield-Gesellschaft, eingeleitet. Dann unterhielten sich der Wiener Soziologe Roland Girtler, der sich selbst als »vagabundierenden Kulturwissenschaftler« bezeichnet, und der Wiener Literaturwissenschaftler Wynfrid Kriegleder über den Schriftsteller Charles Sealsfield. Roland Girtler erzählte über seine Faszination, die auf eine Schullektüre des Kajütenbuchs zurückgeht und bei einem Besuch in Sealsfields/Postls Geburtshaus in Poppitz/Popice bei Znaim wieder auflebte, als er auf einer Fahrradtour, aus Norddeutschland kommend, dort Station machte.
Kriegleder informierte über Postls/Sealsfields bis heute nicht völlig geklärte Lebensgeschichte und über wichtige Züge seines schriftstellerischen Werks. Der 1793 geborene Weinbauernsohn Carl Postl wurde nach dem Besuch des Gymnasiums in Znaim 1814 zum Priester geweiht. Seit 1810 Mitglied des Kreuzherrenordens, verkehrte er als Sekretär des Großmeisters in den Kreisen der liberalen Prager Aristokratie. 1823 flüchtete er aus ungeklärten Gründen und emigrierte über Wien und Stuttgart in die USA, wo er sich eine neue Identität aufbaute, zuerst als Charles Sidons, dann seit 1826 als Charles Sealsfield. Er lebte, wahrscheinlich zunächst als protestantischer Geistlicher, in Kittaning (Pennsylvania), kehrte 1826 nach Europa zurück, hielt sich v. a. in London auf und publizierte Reiseberichte über die USA sowie eine scharfe Abrechnung mit der österreichischen Monarchie, Austria as it is, bot aber gleichzeitig dem österreichischen Staatskanzler Metternich erfolglos seine Dienste als Geheimagent an.
1828 ging er wieder in die USA, war in New York City als Journalist tätig und hatte Kontakt mit Joseph Bonaparte. Ende 1830 reiste er, möglicherweise im Auftrag der Bonapartisten, in die Schweiz, wo er in den folgenden Jahren mit mehreren zunächst anonym veröffentlichten deutschsprachigen Romanen internationale Erfolge erzielte. Später wurde es still um ihn. 1858 kaufte er ein Haus in Solothurn, das er bis zu seinem Tod am 26. Mai 1864 bewohnte. Seit 1843 hatte er nichts mehr veröffentlicht und war weitgehend vergessen; die Eröffnung seines Testaments und die Enthüllung seiner früheren Identität als Carl Postl erregte aber großes Aufsehen und führte zu intensiven biographischen Forschungen.
In seinen Romanen versuchte Sealsfield, dem europäischen Publikum die politischen und sozialen Verhältnisse in den USA, aber auch in Mexiko näherzubringen. Da ihn die Entwicklung in den USA zunehmend desillusionierte, erschloss er sich mit seinem bis heute bekanntesten Werk, Das Cajütenbuch oder Nationale Charakteristiken (1841), mit dem eben erst unabhängig gewordenen Texas einen neuen utopischen Raum.
Sealsfield erscheint in seinen Romanen als überzeugter Anhänger des politischen und sozialen Systems der USA, allerdings in dessen agrarisch-südstaatlicher Ausprägung, weshalb er die Institution der Sklaverei verteidigte. Als sprachliche Kunstwerke sind die Bücher bis heute bemerkenswert; ihre Vitalität hebt sie aus der Masse der zeitgenössischen deutschsprachigen Romanproduktion heraus.
Die Veranstaltung konnte auch mit einer Überraschung aufwarten. Der aus Tägerwilen in der Schweiz angereiste Otto Egloff, Verwalter der »Stiftung Nachlass Saskia Egloff«, berichtete vom kürzlich erfolgten Fund eines Fotos, das möglicherweise Charles Sealsfields darstellt – eine Sensation insofern, als nur eine einzige bekannte Fotografie existiert.
In der anschließenden Diskussion wurden viele Fragen aufgeworfen, insbesondere über Sealsfields Verhältnis zur Sklaverei in den amerikanischen Südstaaten.